WK-NÖ Präsidentin KommR Sonja Zwazl im Gespräch

07 November 2018 / By Nisa Maier / Interview
Österreichs Wirtschaft boomt, aber ein Hard Brexit und aufkeimender wirtschaftlicher Protektionismus könnten für die heimische Wirtschaft zu einer Herausforderung werden. WK-NÖ-Präsidentin Sonja Zwazl zieht im Interview Bilanz über das vergangene Wirtschaftsjahr und mahnt trotz aktueller wirtschaftlicher Schönwetterlage zur Vorsicht bei Prognosen zur weiteren Entwicklung der Konjunktur.

ECHO: Niederösterreichs Wirtschaft im vergangenen Jahr, mehr Sonne als Schatten? Sonja Zwazl: Um im Sprachbild zu blei- ben: Die Konjunkturwetterlage 2017 war bei uns erfreulicherweise von den Sonnen- tagen geprägt. Wobei es da schon starke re- gionale Unterschiede gegeben hat, ebenso bei den Branchen. Insgesamt ist aber der Wirtschaftsmotor wieder deutlich auf Tou- ren gekommen. Das lässt sich allein an den gestiegenen Beschäftigungszahlen ablesen.

ECHO: Die positive wirtschaftliche Entwicklung des vergangenen Jahres, sinkende Arbeitslosigkeit und steigende Produktivität, hält an. Eine echte Trendwende nach den Jahren der Wirtschaftskrise?

Zwazl: Wirtschaftliche Prognosen sind enorm schwierig geworden. Die Zeiten, in denen man von einem bestimmten Rhythmus bei den Konjunkturzyklen ausgehen konnte, sind längst vorbei und werden auch nicht wiederkommen. Dazu ist das weltwirtschaftliche Umfeld viel zu volatil geworden. Dazu kommt der immer unberechenbarer werdende Einfluss der Finanzmärkte auf die Realwirtschaft. Und dass die Weltpolitik in den letzten Jahren berechenbarer geworden ist, wird ja wohl niemand ernsthaft behaupten.

ECHO: Die Exportwirtschaft boomt und auch die Inlandsnachfrage entwickelt sich positiv. Wie lässt sich denn der aktuelle Trend am besten in die Zukunft mitneh- men?

Zwazl: Kein Land, keine Region kann sich in unserer globalisierten Welt von der inter- nationalen wirtschaftlichen Entwicklung abkoppeln. Diese Tatsache ist zur Kennt- nis zu nehmen, ob es einem nun passt oder nicht. Wir können daher hierzulande nur alle wirtschaftspolitischen Anstrengungen darauf richten, dass unsere exportierenden Unternehmen die besten Bedingungen vorfinden, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Zum Beispiel, dass sie die Fachkräfte bekommen, die sie dringend brauchen, oder dass sie von bürokratischen Hürden befreit werden. Als Wirtschaftskammer unterstützen wir die Exportwirtschaft im In- und Ausland, mit unserer Außenwirtschaftsorganisation und 110 Außenwirtschaftscentern auf der ganzen Welt vor allem in der Marktsondierung und -beobachtung.

ECHO: Nicht wirklich verbessert hat sich das Problem des Facharbeitermangels, trotz durchaus ambitionierter Initiativen. Warum greifen die Maßnahmen bisher nicht wie gewünscht?

Zwazl: Die demoskopische Entwicklung spielt da sicherlich eine Rolle, aber bei Weitem nicht die alleinige. Wir haben in den vergangenen Jahren eine konsequente Fehl- entwicklung auf dem Arbeitsmarkt gehabt. Viel zu viele machen die Matura, drängen ins Studium und finden dann nicht den pas- senden Job. Die Lehre war, was das gesellschaftliche Ansehen betrifft, krass unterbewertet. Ich sage bewusst „war“, weil langsam, aber sicher unsere vielfältigen Bemühungen zu greifen beginnen und eine Trendwende zu bemerken ist. So sind etwa die Lehrlingszahlen bei den ersten Lehrjahrgängen seit zwei Jahren wieder deutlich steigend. Das ist sehr erfreulich.

ECHO: Die Arbeitnehmerseite rekla- miert für bestimmte Berufe immer wieder ein höheres Gehaltsniveau. Ist der Facharbeitermangel also auch ein hausgemachtes Problem? Für viele Jugendliche ist eine Lehrausbildung wenig attraktiv. Wie lässt sich dem entgegenwirken?

Zwazl: Am Geld allein liegt es nicht. Das Verdienstniveau eines Facharbeiters ist durchaus attraktiv. Daher: Es geht nicht ums Geld, sondern vor allem um das gesellschaftliche Ansehen, um das Sozialprestige. Aber wie bereits gesagt, da befinden wir uns auf dem richtigen Weg. Dazu aktuell ein Beispiel: Die Gleichstellung des Meistertitels mit dem akademischen Bachelor. Auf der New Design University in St. Pölten, die sich zu 100 Prozent im Besitz der Wirtschaftskammer Niederösterreich befindet, wird diese Gleichstellung bereits gelebt. „Meister meets Master“ ist kein leerer Slogan, sondern Alltag im Studienbetrieb. Und die jüngsten großartigen Erfolge unseres Fachkräftenachwuchses bei den EuroSkills in Budapest tragen viel dazu bei, den Stellenwert der Lehre in der Gesellschaft weiter zu heben.

ECHO: Auch wenn sich durch Asylberechtigte und Asylwerber bei Weitem nicht der Bedarf an Lehrlingen decken ließe, stün- de damit trotzdem ein großes Potenzial junger Arbeitskräfte zur Verfügung. Die Politik steht dem aber immer wieder skeptisch gegenüber. Kann Niederösterreichs Wirtschaft auf dieses Arbeitskräftepotenzial verzichten?

Zwazl: Darum geht es nicht. Wir sollten die Asylfrage streng von der Migrationsfrage trennen. Die demoskopische Entwicklung zeigt ganz klar, wie rapide die Überalterung in Österreich zunehmen wird. Deshalb brauchen wir eine kluge Migrationspolitik. Die Lehre darf aber nicht zum Einfallstor für Asylwerber werden, das wäre der komplett falsche Weg. Ich bin für humanitäre Lösungen für Asylwerber, die hier bereits eine Lehre machen und ordentlich arbeiten. In ihrem eigenen und im Interesse des sie beschäftigenden Betriebs. Dennoch müssen wir das System ändern. Es braucht mehr Rechtssicherheit für alle Beteiligten, die kann es nur durch kürzere Asylverfahren geben. Als Wirtschaftskammer Niederösterreich leisten wir einen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion, indem wir gemeinsam mit dem AMS Niederösterreich die Potenziale von lehrstellensuchenden jungen Menschen austesten. Und zwar bei ÖsterreicherInnen ebenso wie bei Asylberechtigten.

ECHO: Protektionisten gegen Freihandelsbefürworter lautet derzeit die Konfrontation auf internationaler Ebene. Wie geht dieses Match aus?

Zwazl: So klare Fronten sehe ich da nicht. Die Republikaner in den USA waren seit jeher glühende Verfechter des Freihandels, nur Mister Trump hat da anderes im Sinn. Die Frage ist nur, was? Gleiches gilt für Brexit-Hardliner in England wie Boris Johnson. Ich hoffe jedenfalls inständig, dass nicht erst das Weltgeschehen – sozusagen die Probe aufs Exempel – die allgemeine Erkenntnis bringt, dass Protektionismus in den wirtschaftlichen Abgrund führt.

ECHO: Zölle und Exportbeschränkungen, wie sie zurzeit zur Diskussion stehen, treffen Niederösterreichs exportorientierte Wirtschaft überproportional. Wie lässt sich mit dieser Situation umgehen?

Zwazl: Es wäre unseriös, hier ein Patentrezept anzubieten. Die Unternehmensführungen haben es sicherlich nicht leicht, da die politischen Entwicklungen immer unvorhersehbarer werden. Das erfordert enorme Flexibilität und großes strategisches Geschick. Eine grundsätzliche strategische Ausrichtung kann und wird aber nie falsch sein. Nämlich auf Qualität zu setzen und mit Innovationen zu punkten. Da weiß ich unsere niederösterreichischen Unternehmen sehr gut aufgestellt. Und mit unserer Außenwirtschaftsorganisation haben sie überall auf der Welt einen starken Partner zur Seite.

ECHO: Hoffnungsmärkte wie der Iran drohen aufgrund der US-Sanktionen komplett wegzubrechen. Wie beurteilen Sie die Chancen von Unternehmen, dort ihre Geschäftstätigkeit aufrechterhalten zu können?

Zwazl: Hier hoffe ich, dass es mithilfe der EU gelingt, unsere Unternehmen vor der Bevormundung, um nicht zu sagen Erpressung, der USA in Schutz zu nehmen. Es gibt ja hier entsprechende Pläne der Union, um den in den Iran exportierenden Betrieben zu helfen. Gerade dieses Beispiel zeigt sehr deutlich, dass wir eine stärkere und keine schwächere Europäische Union brauchen. Ein europäischer Nationalstaat allein kann auf der weltpolitischen Bühne so gut wie gar nichts für seine Unternehmen ausrichten.

ECHO: Auch innerhalb Europas zeichnen sich verschärfte Bedingungen ab, Stichwort Hard Brexit. Lässt sich dieser noch abwen- den? Und wenn nicht: Was bedeutet das für Niederösterreichs Wirtschaft?

Zwazl: Ich hoffe, dass am Ende doch die Vernunft siegt. Es steht so viel auf dem Spiel. Da kann man die Lösung nicht einfach einem Pokerspiel überlassen, sondern es muss alles getan werden, um einen vernünftigen Kompromiss zu erzielen. Die Folgen eines Hard Brexit möchte ich mir gar nicht ausmalen, weder wirtschaftlich noch politisch. Da kann es nur Verlierer geben. England findet sich zwar nicht unter den Top Ten der niederösterreichischen Handelspartner, liegt mit einem Warenexportvolumen von 477 Millionen Euro an elfter Stelle, aber selbstverständlich würden wir die negativen Auswirkungen in vielerlei Hinsicht zu spüren bekommen. 15 Prozent des gesamteuropäischen Bruttoinlandsprodukts gehen auf das Konto von England, ein Hard Brexit würde England und die verbleibende EU insgesamt enorm schwächen.

 


Josef Temper

 

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